DENK ART Martha & Wolfgang Denk
Neue Malerei zwischen Strukturanalyse und Ornament

Wolfgang Denk

 

Nach meinem fast tödlichen Unfall im Jahr 2011 und den folgenden eineinhalb Jahren in Krankenhäusern, stellte ich mir die „depressionsdichte“ Frage nach dem Ende meiner 1968 begonnenen Künstlerkarriere. Nein, kein Ende, sondern ein Neubeginn beschäftigte meine Phantasie, der letztlich 2019 zum Durchbruch kam. Eine neue Art von Malerei müsste eine der Konsequenzen sein. Ich experimentierte mit einfachen, aber widersprüchlichen Grundelementen und einer vom malerischen Zeichen bestimmten repetitiven Bildsprache, welche wegen ihrer doch komplexen Verwobenheit zugleich eine ideale Grundform für ein strukturell-analytisches System einer informellen gestischen Malerei sind. Mit meiner Form der Plasticolorotype Technik sollte die deklarative Beschränktheit des Geometrischen und die überschüssige Expressivität der gestischen Malerei vermieden werden. Vielleicht ist es eben diese Vorgangsweise, welche meine neue Position in der Malerei bestimmt. Die neue Formensprache nutzt gestische Zeichen die als reihenhafte, sternförmige Grundelemente variiert werden, um diese Elemente in verschiedenen Zusammenhängen zu untersuchen und dadurch eine mögliche Funktionsanalyse der bildnerischen Elemente als eine Art von „Denk Art-Vokabularium“ zusammenzutragen. Um die gefundenen Formen in den verschiedenen Bildkontexten zu erkunden, muss ich als Künstler Fahrten in ursprüngliche archaische Perioden und Landschaften unternehmen. Ich strebe nicht an, mich ethnographisch fix zu verorten, um meine Reisen zu der europäischen Megalithkultur, den Morgenlandfahrten nach Indien und Japan, zu den First Nations Amerikas, New York, Montreal oder die unzähligen Schwarzafrikareisen emotional auszubeuten und in meine Kunst in zyklischen Permutationen transponieren zu können. Undefinierbar ist der Einfluss auf meine bildnerischen Inspirationen, meine soziogesellschaftlichen und politischen Erfahrungen als Gründungsdirektor der Kunsthalle Krems (1991–1998), des Hermann Nitsch Museums (2004–2007) und der Susanne Wenger Foundation Museumsgalerie Krems (1995/2011).

„Ich meditiere mit der Hand und mit meinem Körper“, sagte Sam Francis 1959 anlässlich der DOKUMENTA II in Kassel, die damals durch die Einbeziehung der US-amerikanischen Kunst, vor allem des abstrakten Expressionismus , weltweiten Anspruch auf Wirkung erhob. Sam Francis‘ Kunst wurde den Begriffen verschiedener Stilrichtungen wie dem abstrakten Expressionismus, der Farbfeldmalerei und des Tachismus zugeordnet. Seine Bilder entstanden teilweise mit den Maltechniken des Schüttbildes und des Action Paintings.
Die Nachwirkungen dessen, waren die ornamentalen Bildzyklen eines Henri Matisse, Claude Viallat oder Sam Gilliam, aber auch die Monumentalität und die „germanische Ernsthaftigkeit“ eines Gerhard Richter in der Behandlung der Farben, seiner rationalen, analytischen, systematischen Malereien und der Einfluss der monumentalen Action-Painting-Panoramen, sowie die persönliche Geschichte des großen Jackson Pollock, der aus dem „Wilden Westen“ nach New York kam.1
Sehr beeindruckten mich auch die Schüttbilder des Meisters Hermann Nitsch für den die Malerei eine der Disziplinen seines Orgien-Mysterien-Theaters darstellt. Sie ist zutiefst in Aktionismus, Performance und in der Multimedialität verankert. Die Malerei ist der Ursprung der Aktionen und zugleich deren Ergebnis.
Welchen erkennbaren Einfluss dies alles auf meine neue Malerei gehabt haben könnte, mögen sich berufen fühlende oder Berufene beurteilen.

Ich bin ein leidlich gebildeter, autodidaktischer Maler mit über 50 Jahren Praxis als Künstler, der eben die neuen Aufgaben für sich sieht, die Malerei einfach in ihren strukturellen und materialimmanenten Texturen, ihren sensitiven, rational schwer erfassbaren, kompositionellen und farbstrukturellen Zuständen zu erforschen und diese malerischen Abenteuer und Definitionen als neue Bildwelten zu präsentieren. Eine möglichst große, formale Vielfalt, Zufall und koloristische Intensität, sind vorgegebene Ziele.

Ursprünglich stammte die Grundform aus einem einfachen Monotypie-artigen Abdruck eines gewöhnlichen „Plastikeinkaufssackerls“ als malerische Geste, wobei von Anfang an eine kontrollierte Artikulation einer zufälligen gegenüberstand. Das alte Prinzip der Ambivalenz zwischen Ordnung und Chaos.
Aufarbeitung, Begutachtung, Bespiegelung, Betrachtung, Check-up-Experiment, Inspektion, Kontrolle, Nachprüfung, Spurensuche, Test, Wartung, die die farbigen „Colortypes“ dem Betrachter zeigen, dass es die formgebende, gestalterische Methode ist, welche in der konzeptionellen, imaginativen Planung besteht, die eine malerisch-definierte, physisch existierende Bilddramatik entstehen lässt. Zuerst kommen die poetisch naturfarbigen Farbfelder als Untergrund, dann die fertigstellende Oberfläche mit ornamentalen Formen meist im Grundfarbenspektrum gehalten, wie ich es im Wachtraum (17. September 2019) vorhergesehen hatte. In diesem Modell stehen die metaphysischen Vorstellungen und die ontologisch-logischen Prozesse2 nebeneinander auf der Bildfläche, während die wahren mythisch-philosophischen Theorien im Bild symbolisch-prophetisch verborgen sind.
Ein anderes Modell versuche ich mit meinen neuen Leinwandbildern, mit Polycolortypie gedruckten Mustern, wobei die Grenzlinien zwischen den diversen Mustern die Grundformen radikal durchschneiden. Verschiedene Zeichenverfahren werden vermischt, auch ineinander integriert, in einem informellen Prozess unabhängig vom Material, Papier, Hartfaserplatte oder Leinwand, wobei die Grenzlinien zwischen den Polycolortypien die Grundformen durchschneiden können. So werden unterschiedliche, zufällige Muster aufgetragen, die auf der Bildfläche schachbrettartig verteilt sein können. Da die Grundfläche ein Farbfeld trägt und die Bildoberfläche das polycolortype Mustersystem aufweist, welches ein eigenwilliges informelles geometrisches Ordnungsprinzip ergibt nach den Erfahrungen der europäischen, archaischen Vorzeit, und dem Wissen der Mythosgeschichte (Traumzeit).

Seit den siebziger Jahren operierte ich mit dramatischen, kompositionellen und inhaltlichen Sinnbildern. Flugträume, symmetrische Frauen-Schamanenmäntel, Flughemd-Altäre oder Allegorien des Krähenfluges, Levitationen, Grundrisse der Steinkreise, Dolmen und Menhire. Die mystischen Anlagen der Megalithkultur, die in der Welt fast überall manifest sind und ihre spirituellen Nervensynapsen zu den schamanistischen Geistessystemen der Native Americans (Indianern), oder später zu den afrikanischen Yoruba aussenden, interessierten mich seit damals. Zu Beginn meiner ernsthaften, künstlerischen Arbeit faszinierten mich besonders die geheimnisvollen Schriftzeichen der altmexikanischen Maya.

Diese janusköpfige Richtung – Doppelgesichtige Kunstmethode – Gesichte, Bewegung und Artikulation, wird weiter beibehaltend fortgesetzt werden. Die Kunst nimmt ja einen bevorzugten Platz zwischen Religionen und Wissenschaften ein. Ihr muss nicht geglaubt werden, sie bedarf keiner Beweise. Der Künstler kann in diverse Masken schlüpfen. Als geistesgegenwärtiger Erforscher anthropologischer oder historischer Tatbestände, als spielerischer Mathematiker oder Fachmann neuester Kommunikationssysteme, bleibt er doch hauptsächlich ein Darsteller seines eigenen Wesens, seiner bewussten und unbewussten Erfahrungen und kann als solcher direkt verstanden werden. Ich hatte dazu auch eine Form von Konsequenz, die mein Werk nicht auf einen allzu glatten Wiedererkennungseffekt festgelegt hat, sondern die Diversität der Varianz meines „ausserkünstlerischen Lebens“ zwischen realen (in der Wirklichkeit stattfindenden) und fiktiven (aus der Phantasie geborenen) Abenteuern wiederspiegelt. „Balanceakte“ zwischen literarisch konnotierter Kunst und l’art pour l’art. Wichtig ist für mich eine Synthese aus Ahnung und Wissen, die spürt, was zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich oder zwingend ist. Lebendige Kunst bietet aber keine trügerischen Sicherheiten.

Die ausgewählten Materialien, die Qualität der Oberflächen und ihre spezifischen Eigenschaften gewinnen einen stärkeren Einfluss und bestimmen die Formstruktur. Die gestischen Malaktionen werden auf die untergründigen Farbfelder konzentriert, wobei bei diesem Prozess die Bildoberfläche in verschiedene Gebiete gegliedert wird, um auf den so definierten Flächen koloristischen Reichtum in individuelle persönliche Formsprache einführen zu können. Durch die Konfrontation der Mustersysteme und deren unterschiedlichen Qualitäten wird die Intensitäten/Dynamik der aufgebauten Spannungsfelder intensiviert. Mit diesem eigenwilligen Ordnungsprinzip ist die Möglichkeit eröffnet, nicht nur Details, sondern auch die Bedeutungen von Symbolen und Phänomenen so zu gruppieren, dass sie sich gegenseitig in überraschenden Konstellationen ergänzen aber auch fragmentarisch bleiben können. Da diese Komposition abseits vom konkreten Material eigentlich nie beendet, nie abgeschlossen, nie vollkommen sein kann, wird es aufschlussreich sein, die Arbeit imaginär zu rekonstruieren und weiterzudenken. Das primäre Planungsgerippe, abgesehen von einer jetzt weniger intensiven Auseinandersetzung mit Symmetrie und Asymmetrie, das als geistige, fiktive, intellektuelle Struktur, die sich transponierbar und ergänzbar auf der eigentlichen substantiellen Bildoberfläche manifestiert, ist letztendlich das zentrale Thema der Gesamtorganisation. Der Zufall verstärkt die formalen Zusammenhänge, weil das repetitive Formsystem, auch die vorerst unbearbeitet gelassenen Flächen integriert, und so die vollkommene Form induzieren kann. Ein gewisser lustvoller Hedonismus der Materialanwendung und gleichzeitig eine poetische Askese eines meditativen Ornamentalismus werden in der Auseinandersetzung mit den Bemächtigungen der neueren abstrakten Polycolortypien und Bildkonstruktionen evident.

 

1   Der Geburtsort von Jackson Pollock ist Cody ein Ort im US-Bundesstaat Wyoming. Die Kleinstadt wurde von W.F.Cody, genannt Buffalo Bill, 1896 gegründet. Cody nahe des Yellowstone Nationalparks und dem Little Bighorn Battlefield war. Alle meine Hunde hießen nach „Tashunka Witko – Crazy Horse“.
Am 17. Juni 1876 führte Crazy Horse ein Ogalala Sioux Kriegshäuptling mit etwa 1500 Lakota Sioux und Cheyenne unter Häuptling Sitting Bull einen Überraschungsangriff auf etwa 1000 Kavalleristen und Infanteristen unter General George A.Custer an, was zu der Niederlage des Regiments in der berühmten Schlacht am „Little Bighorn River“ führte, wo der „Indianerkiller- General“ den Tod fand.

2   Die Ontologie ist eine Disziplin der Philosophie, die sich mit der Einteilung des Seienden und den Grundstrukturen der Wirklichkeit befasst. Dieser Gegenstandsbereich ist weitgehend deckungsgleich mit dem, was nach traditioneller Terminologie „allgemeine Metaphysik“ genannt wird.