DENK ART Martha & Wolfgang Denk
Kunst und das subjektive Weltwissen
Susanne Magdalena Karr
Eine intensive Atmosphäre, dicht und zugleich schwebend, liegt über dem Hof- und Ateliergelände im Kamptal. Der von üppigen Pflanzen und zahlreichen Skulpturen bewohnte Innenhof verbindet wie ein Zwischenreich menschlichen mit wildem Lebensraum. Angrenzend ein großes, nicht durch übliche Hortikultur bearbeitetes Grundstück, das einer Natur zurückgegeben wurde, in der nicht menschliche Lebewesen, Pflanzen und Tiere einem nicht von Menschen gesteuerten Ablauf folgen. Die 200 Jahre alten Gebäude, die früher der Weinfertigung dienten, sind zu Atelier und Schaffensräumen umgewidmet. Immer noch findet hier Verwandlung statt – Inspiration wird zu Werk.
Wandlungsfähigkeit der Geometrien, irrlichternde, magisch anmutende Einsprengsel, die Farbstrahlen verbreiten. Wolfgang Denks neues Oeuvre entspringt einer Experimentierfreude, die ihn auf dem Weg zu einer neuen Malerei seit 2019 begleitet. Darin führt er die Limits der Geometrie und der überbordenden Gestik eines abstrakten Expressionismus zu einem neuen Ansatz, einem strukturell-analytischen System, wie er sagt, zusammen. Die eigene künstlerische Geschichte findet in dieser De- und Rekonstruktion zu einem Ausdruck, der sich durch ein extrem reiches Repertoire der Farben und deren immer wieder überraschende Kombinationen auszeichnet. Geometrische Elemente werden nach dem Prinzip der Wiederholung von einer mechanistischen Routine auf eine individuell schöpferische Basis transferiert. Viele Bilder erscheinen als Formate, die für übliche Ausstellungsräume zur Herausforderung werden können. Es scheint, als setze sich der materielle Ausdruck über den Bildrand hinaus fort: Die Farbflecken werden zu Initiatoren einer Dynamik und pulsieren weiter in den Raum, laden die Umgebung auf mit Inputs einer nicht-materiellen Sphäre. Die Message ist uneindeutig und immer neu zu verhandeln.
Man denkt philosophisch-ästhetisch, beschränkt sich nicht auf künstlerische Aspekte, man malt als ganzer Mensch, mit all seinen Erfahrungen, sagt Wolfgang Denk. Es gilt diese gedanklich-konstruktiven und emotional-expressiven Bewegungen ins Kunstwerk zu bannen. So reicht das geschaffene Werk über den rein künstlerischen Ausdruck hinaus – es ist gleichzeitig Ergebnis umfassender innerer Bestrebungen, Erkundung psychischer Vorgänge und Übersetzung äußerer Einflüsse. Als weitgereister und mythologiekundiger Künstler arbeitet Wolfgang Denk mit psychischen Inskriptionen. Er übersetzt sie in eine visuelle Sphäre, indem er sie teils abstrahiert, was einem rationalen Zugang entspricht, und dann teils farblich überborden lässt, was der intuitiven Dynamik Genüge tut. Will man dem Mythenforscher Joseph Campbell glauben, so ist es der Künstler, der mythische Inhalte vermittelt. In modernen Kulturen sind es die Künstler und Künstlerinnen, die für die Aufrechterhaltung mythischen Wissens Verantwortung tragen. Es ist dies eine anspruchsvolle Aufgabe, eine Berufung, der man sich zu stellen hat. Und dabei gilt es, die Herausforderung auch im Bewusstsein eines unbestimmten Ausgangs anzunehmen. Die Poetin und Psychoanalytikerin Clarissa Pinkola Estés drückt dies so aus: „Manchmal, wenn wir den Toren, die Egoismus und Tradition zugunsten den meisten kreativen Freiheiten hintanstellen, erlauben, sich zu öffnen (empfohlen), oder sie aus ihren Angeln sprengen (auch empfohlen, falls nötig), erscheint ein innerer Lehrer, oder ein geflügeltes Wesen, oder ein kleines Kloster von Mönchen oder Nonnen (wählen Sie Ihr eigenes Bild, wie Sie es sehen). Diese repräsentieren erhöhte Intuitionen darüber, wie/was als nächstes zu schreiben und/oder zu sprechen – oder, in diesem Falle, zu malen – ist. Diese Energien sind tief in der Arbeit ‚mit‘ uns verwurzelt. Das altmodische Wort für sie ist Dämon: Führung. Es gibt auch noch andere Worte, einige weniger vom Geist und mehr von der Erde.“1
Alltägliches entfaltet sich zu einer Mehrdimensionalität, die Wahrnehmung gewinnt an Tiefe. Wie ein holistisches Bewusstsein von Welt sich der Verbundenheit aller Wesen klar ist, so mag die mythische Wahrnehmung alle Ebenen betreffen. Plötzlich kann sich ein Empfinden einstellen wie beim Betrachten der endlosen Weite des Nachthimmels mit seinem funkelnden Sternenzelt. Kunst hilft die Welt neu zu sehen, intensiver. Für die Ausführung des Schaffensprozesses taugen in Wolfgang Denks neuer Bilderserie Alltagsgegenstände wie etwa Plastiksackerl. Sie werden, aufgeladen durch Farbenergien, zum Print-Instrument einer zeremoniellen Kreativität. Schon in seinen früheren Werken bildet die Grundierung für die feinen Bildstrukturen eine wesentliche Basis. Viele Ebenen werden übereinandergeschichtet, und das sorgfältige Sortieren in filigrane Schichten erinnertn an das Übereinanderlagern psychischer Layers. Mit künstlerischer Ironie verfeinert, wird so die lineare Kausalität eines mechanistischen Weltbildes aus den Angeln gehoben. Der Besuch im Atelier gibt Einblicke in die vielfältigen psychischen Farbregister. Welche Farben werden verwendet? Das wird am jeweiligen Tag festgelegt. Das Format folgt keiner produktiven Ordnung, sondern der Intuition –- die wiederum eine eigene Ordnung auf den Plan rufen mag. Die einer inneren Stringenz, die sich vielleicht mit folgender Beschreibung fassen ließe: There are no coincidences. Only concerted incidents.
Magisches Denken gehört zum Weltbild des Kindes wie des Schamanen. Darin besteht die Gewissheit, dass man selbst Schöpfer ist, dass man Einfluss hat auf die eigene Welt. Synchronizität zählt hier mehr als Kausalität, Wirkungen werden von ihrer Geradlinigkeit befreit. Die schamanische Fähigkeit, Seelen und Welten zu bereisen, verbunden mit der Selbstverständlichkeit einer über traditionelle Glaubenssysteme hinausreichenden Spiritualität, wird immer wieder als künstlerische Charakteristik verstanden. Wolfgang Denk hat seinen Erfahrungen mit spirituellen Ritualen und Schamanenflügen in früheren Schaffensperioden viel Raum gewidmet, heute sind diese Inhalte internalisiert. So wie er auf die Frage, welche Tiere in seinem Werk präsent sind, antwortet: „Die Tiere habe ich immer bei mir, sie sind in mir.“ Begleiten wird ihn in nächster Zeit wieder ein weißer, wolfsähnlicher Hund.
Wie stellt man sich die Inspiration eines Künstlers mit starker Affinität zur keltischen Kultur vor? Im Erlebnisraum dieser Erzählungen stiften kreative Fertigkeiten einen Sinn- und Seinszusammenhang. Dies zeigen Einstiegsfragen wie: Woher kommst du, und was ist deine Kunst? Was kannst du tun?2 Sie werden an eine Person gerichtet, die der Geschichte beitritt. Etwa an einen, der seine Erzählungen, jeden Tag für die allabendliche Darbietung frisch erfindet: „Eines Morgens stand der Geschichtenerzähler früh auf, und wie es seine Gewohnheit war, spazierte er in seinen Garten hinaus und drehte in Gedanken Vorfälle um, die er zu einer Geschichte verweben könnte …“3 Er verwendet Bestandteile, die ihm begegnen, die aufleuchten, irritieren, erheitern, und schafft daraus etwas Neues. In keltischen Erzählungen treten viele gestaltwandelnde Figuren auf: Raben werden zu Prinzen, Mädchen zu Tauben. Aus einem Seidenfaden strickt sich eine Leiter in den Himmel, auf der man auf und nieder klettern kann, ein Zaunkönig übernimmt die harte Arbeit des Getreidedreschens, Köpfe werden abgeschlagen und wieder aufgesetzt. Magie, Spannung, düstere und fröhliche Abschnitte als klassische Elemente mitreißender Erzählungen finden sich auch in den Mythen der First Nations Nordamerikas, den europäischen Mythologien oder den Erfolgsromanen eines Haruki Murakami. All diese Materialien –- und viele weitere –- gehören zum Hintergrund im Denken von Denks Schaffen. Ausschlaggebende Einflüsse sind zum einen lange und weite Reisen, begleitet von seiner Frau Martha, in den anglo-amerikanischen Raum oder nach Japan etwa, zu den unterschiedlichen Megalithkulturen der Welt. Zum anderen die zahlreichen Aufenthalte in Nigeria und die Freundschaft zur Künstlerin und Yoruba-Priesterin Susanne Wenger, die in ihrem früheren österreichischen Leben Mitbegründerin des Wiener Art Club war. Diese Begegnung initiierte Denks Auseinandersetzung mit der Kultur der Yoruba. Er machte das Werk Susanne Wengers, in dem der heilige Hain der Yoruba-Göttin Osun am Rande der Stadt Oshogbo eine zentrale Rolle spielt, als Erster einem westlich europäisch geprägten Publikum zugänglich. Susanne Wenger und einheimische Künstler haben diesen mit Skulpturen und Schreinen versehen und vor der Zerstörung bewahrt.
Das Eintauchen und imaginäre Nachvollziehen des Entstehungsprozesses kann man sich als aktive Kunstbetrachtung vorstellen. So jedenfalls wäre Rezeption bei der Philosophin Sarah Kofman vorgestellt. Dann wäre die Interaktion mit der Malerei ein inneres Noch-einmal-Schaffen, wie jede Lektüre ein Noch-einmal-Schreiben ist. „Wer sich zurückhält, etwas von sich selbst einzubringen, wer sich verweigert, den Text zu befruchten, zu beackern, der liest nicht“, sagt Kofman4. So entsteht ein einzigartiges rezeptives und gleichzeitig produktives Kunsterlebnis mit der Forderung, den Eindruck mit der eigenen Weltwahrnehmung in Verbindung zu bringen. In der Präsenz der Kunstwerke vollzieht man also einen weiteren Schritt eigener Weltwahrnehmung, die immer subjektiv auf das eigene Gelebte aufsetzt. Aus dieser Haltung entsteht die Frage nach der Herstellung des Kunstwerkes, die mindestens ebenso wichtig ist wie die Frage nach einem Dargestellten.
So wie Lektüre von Philosophie immer wieder neu dazu einlädt, anhand ihrer Gedanken Welt zu erkunden, so lädt Malerei ein, aus ihrem Blickwinkel Welt neu wahrzunehmen, ohne Wahrheitsanspruch oder Deutungshoheit für sich zu verlangen. Was der Begriff „situiertes Wissen“5 lehrt, nämlich ein Wissen, das immer verortet ist, und zwar nicht nur räumlich, sondern körperlich und seelisch, trifft in besonderem Maße auf Kunst und das subjektive Weltwissen zu, das sie vermittelt. Ein Erkennen anhand dieser künstlerischen Wahrnehmung, gewissermaßen.
1 Clarissa Pinkola Estés: Tending the Creative Fire manuscript, Chapter excerpt © 1989, 2010
2 im engl. Original: “Whence come you, and what is your craft? What canst thou do?”, in: Celtic Fairy Tales, hg. von Joseph Jacobs, Senate, Random House, 1996
3 im engl. Original: “One morning the story teller arose early, and as his custom was, strolled out into his garden, turning over in his mind incidents which he might weave into a story….”, ibd.
4 Sarah Kofmann: Derrida lesen. Passagen Verlag, Wien 2000.
5 Situiertes Wissen (Situated Knowledge) ist ein von der Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway geprägter Begriff, der die Bedingtheit objektiver Erkenntnis zu Ausdruck bringt. Wissen ist immer begrenzt und vom Standort der Betrachtenden geprägt. Wissen ist eine aktive Tätigkeit, keine passiv zu empfangende Erkenntnis.