Wolfgang Denks Motivation und Arbeitsweise

Wolfgang Hilger

 

Über Sinn oder Unsinn bereits weithin verwendeter Termini, mit denen Tendenzen der jüngsten Kunstentwicklung umschrieben werden, herrscht in Fachkreisen nicht gerade Einigkeit. Sind Harald Szeemanns „Individuelle Mythologien“ allein vom Begriff her widersprüchlich, eine Contradictio in adjecto? Wird Günter Metkens Begriff „Spurensicherung“ den irrationalen Tendenzen auch gerecht? Losgelöst von den unmittelbaren, optisch-sinnlich rezipierbaren Wahrnehmungen und jenen nonverbalen Botschaften, die ein Kunstwerk stets vermittelt, erweist sich in der Diskussion, dass unserem rationell orientierten Denk- und Sprachsystem eine Dimension weitgehend fehlt. Dogmatisch fixierte Theologien, Aufklärungen und Materialismus haben eine viel ursprünglichere, animistische Begriffswelt verschüttet. Ethnologie, Urgeschichte und Archäologie, Wissenszweige, die mit Entstehung und Methodik selbst in einem positivistisch orientierten Denken wurzeln, machten uns wieder mit irrational mitbestimmten Welt- und Wertsystemen bekannt. In der gegenwärtigen Kunst hat dieser geistesgeschichtliche Rückkoppelungseffekt seinen Niederschlag gefunden.

Freilich sieht sich der Künstler hier auch in einem Dilemma. Allzu groß ist die Gefahr, sich in nostalgischer Nachempfindung archaischer Erscheinungen zu verlieren, mit romantischem Ästhetizismus einer subjektiv empfundenen, weitgehend unreflektierten Faszination zu erliegen.

Wolfgang Denk ist sich dieser Problematik bewusst. Bereits seit Längerem hat er sich davon abgewandt, mit seinen Bildinhalten bildungsbeflissenen Interpreten zu Aha-Erlebnissen zu verhelfen. Die topografische Reproduktion oder subjektive Umgestaltung einer in grauer Vorzeit wurzelnden Realität ist ihm kein Anliegen mehr. Die bildhafte Umsetzung einer ihm eigenen Sensibilität, der Prozess, der dabei abläuft, wurde für ihn maßgebend. Es sind Vorgänge, die allerdings durch spezifische Erlebnisse aktiviert werden.

Zweifelsohne war Denks Schlüsselerlebnis die Begegnung mit den Denkmälern europäischer Frühkulturen. Die Megalith-Bauten, Steinkreise und Dolmen Englands, Irlands und der Bretagne hat er genau studiert. Die Schöpfungen eines vorzeitlichen monumentalen Kunstwollens sind ihm vorgegebene Artefakte, deren fachspezifischer Interpretation er nichts hinzuzufügen hat. Spekulationen sind nicht seine Sache. Irrational und damit ein Faktum der gegenwärtigen, persönlichen Existenz des Künstlers bleibt nur eine Gebanntheit. Eine wach gewordene Sensibilität reagiert auf Vorgegebenes.

Denk hat eine konkrete, Konzepten und Gesetzen folgende Arbeitsweise gewählt. Seine Werke sind nicht bildhafte Artikulationen nebuloser „mythologischer“ Gefühlsströme, sondern komplexe, durch einander überlagernde durchlässigtransluzide Schichten charakterisierte Kompositionen, die aus dem Wechselspiel emotionaler und rationaler Empfindungen resultieren.

Meist beginnt Denk ein Bild mit dem realen Grundriss einer prähistorischen Formation. Noch ist dies lediglich ein Nachvollzug jener Vorgänge, die von der ursprünglichen Steinsetzung ausgehen und somit den archaischen Gesetzlichkeiten folgen. Nun setzt jedoch ein selbständiger, vom Künstler gesteuerter Prozess ein. Die klare technisch-archäologische Struktur der ersten Schicht wird von einer emotional bedingten überlagert. Die „gefundene“ (vorgegebene) Schicht wird von der „erfundenen“ bedeckt, vergleichbar dem einander bedingenden Kontrast von Rhythmus und Melodie. Farbstrukturen werden aufgebaut, Flächen und Formationen gewinnen Eigenwerte und bilden über dem Grundkonzept neue kompositorische Gesetzmäßigkeiten. Denk weiß von dieser Parallele zur Musik, die ihm als nonverbales Medium besonders nahe steht.

Emotionen und bewusstes Gestalten, ein im ewigen Spieltrieb des Menschen wurzelndes Gegen- und Miteinander, Irritationen, Zitate und Assoziationen formen allmählich einen flimmernden Bildkosmos, dessen Gesamtheit sich zu einem Psychogramm des Künstlers verdichtet.

Doch nicht nur das Kreative, auch die Destruktion wird in den Schaffensprozess einbezogen. Bereits Erarbeitetes wird überdeckt, durch Kratzspuren zerstört, getilgt, jede Bildschicht reagiert von Neuem auf das Vorhandene. Neue Strukturen können einbezogen und wieder verunklärt werden. Hinter dichten Strichlagen verbergen sich zuletzt abgeschlossene Vorgänge. Denk stellt sich während des Arbeitsprozesses immer wieder selbst in Frage, relativiert seinen Standpunkt und spielt mit den Möglichkeiten. Er ist in gleicher Weise historisch und ahistorisch, bedient sich des Zitates aus dem Mystischen und bleibt doch wert- und zweckfrei.
Hat nicht in der Literatur J. R. R. Tolkien mit seinem „Herrn der Ringe“ strukturell Vergleichbares angestrebt?

Denk liebt das Spiel mit dem Material. Aus Leinen fertigt er architektonische Formationen. Objekte, die an Tempelfassaden oder schamanistische Geisterhemden gemahnen, irritieren teils durch die Wahl des Materials, teils durch eine konstruktivistische Verfremdung und erzeugen somit eine neue, vom Künstler gewollte Realität.

Stets beschreibt Denk Dimensionen seiner Existenz, überprüft und erweitert sie an vorgegebenen Konzepten. Die neu gefundenen Komponenten seines Empfindens lagern sich in den Schichten eines Bildes ab und werden wieder bewusst verschlüsselt und verschleiert. Denk ist zugleich Erzähler und Fragesteller, expressiv und intim, weltoffen und introvertiert. Freies Gestalten, Intellektualität und Sensibilität haben zu einer neuen Einheit gefunden.

Wolfgang Hilger, Wolfgang Denk im Atelier in Stetten, 1980, Photo: Ebenhofer

Arbeit im Atelier St. Valentin 1972, Photo: Denk

Plakat, Photo: Denk

Atelier in Zöbing 2005, Photo: Denk

Atelier in Zöbing 2014, Photo: Denk