Strukturen und Skulpturen*

Karel Srp

 

Die letzten Arbeiten Wolfgang Denks vom Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre unterscheiden sich markant von seinem vorhergehenden malerischen Schaffen. Sie sind dreidimensional, symmetrisch, haben eine dunkle Graphitoberfläche, sie sind statisch und von elementarer Ikonenhaftigkeit. Seine bisherige formale und inhaltliche Kunstauffassung zeigt sich deutlich verändert. Mit einigen seiner Werke stellte er sich bereits in Prag vor, in der Ausstellung „Aus dem Zusammenhang“, die Ende des Jahres 1989 stattfand und einen Querschnitt durch die zeitgenössische österreichische Kunst brachte. Beeindruckend war vor allem eine über drei Meter hohe, schlanke, ruhig und monumental wirkende Stele.

Sie signalisierte, dass er sich Ende des vergangenen Jahrzehntes mehr als je zuvor mit dreidimensionalen Objekten, deren wichtiges Kompositionselement die Frontalität ist, zu befassen begonnen hatte.

Vom früheren malerischen Schaffen des Künstlers, auf welches die angeführten Charakteristika kaum zutreffen würden, sind in die Objekte einige zu den konstanten Zügen seines ganzen bildnerischen Denkens gehörende Zeichen übergegangen – der Kontrast der gestischen Handschrift und des rationalen Systems, welches im Jahre 1990 eine viel innerlichere und durchdachtere Ausdrucksweise gewann. Der Widerhall des gestischen Poles ist sowohl in den letzten Zeichnungen des Künstlers, in dynamischen und expressiven Graphitarbeiten, als auch in den neuesten Objekten, deren Struktur der Wandoberflächen aus gerissenem Papier gebildet ist, zu finden. Der systematische Pol kommt wiederum durch Betonung fester, geometrischer Formen und durch schachbrettartige Komposition der Zeichnungen, durch Durchflechten von selbständigen Zeichnungen in Streifenform zum Ausdruck. Die jetzigen Arbeiten Denks, die jegliches Bemühen um Nachbildung der empirischen Welt verlassen haben, sind viel kompakter, klar formuliert und emotiver gezielt. Sie haben aufgehört, zwischen der Figuration und der Geometrie zu oszillieren. Der Künstler hat zwar sein Ausdrucksregister enger und deutlich einseitiger gemacht, jedoch so, als würden die neuen Objekte die Erfahrung seiner ganzen bisherigen Denkentwicklung in sich verdichten. Typisch für sie ist ein starkes minimalistisches Fühlen, obwohl sie sich durch ihre inhaltliche Orientierung von der Ästhetik des Minimalismus deutlich unterscheiden. Denk beschränkt sich nicht auf bloße Feststellung primärer Objektformen, er bleibt nicht bei deren sachlicher, objektiver Form stehen. Er befasst sich vor allem mit der Frage der Wirkung, d.h. mit der inneren Resonanz der Objekte im Bewusstsein der Zuschauer. Seine neuen Arbeiten sollten zum konzentrierten Zu-sich-Finden anregen. In der Art, wie er die elementaren stereometrischen Formen verwendet, distanziert er sich dezidiert von den Zusammenhängen mit den 60er Jahren. Dies wird erstens in der Gesamtorientierung und in den Ursprüngen der Realisierung seiner Objekte, zweitens in seiner Interpretation der Oberfläche und des Innenraumes deutlich. Durch diese beiden Aspekte nähert sich Denk dem breiten Strom der postminimalistischen Tendenzen an. Einfache Formen tragen an sich keine Bedeutungen als solche mehr, sondern sie drücken verschiedenste, oft außerbildnerische Inhalte aus, die bei Denk im großen Maße mit der Sakralität zusammenhängen. Obwohl Wolfgang Denk ähnlich wie die Minimalisten konkrete symbolische Formen verdrängte, verzichtete er nicht auf die Ikonenhaftigkeit, welche in den Achsen und im Symmetrischen der Objekte deutlich wird. Die Arbeiten Denks sind keine meditativen Ersatzobjekte, die ihre materiellen Seiten negieren würden. Sie bringen ähnliche Sinneigenschaften einander nahe, welche sie durch unterschiedliches Material (z.B. Graphit und Metall) und durch verschiedene Bearbeitung der Fläche (z.B. aufgeklebte gerissene Papiere und eingebaute Eisenplatten) ausdrücken. Der Künstler verwendet polarisierende Prinzipien: außer dem Kontrast von matt und glänzend, der bereits im Minimalismus angewendet wurde, beließ er im einen Falle die Fläche im Naturzustand, während er sie im anderen Falle auf eine spürbare Art bildnerisch behandelt und umwertet. Als typisch für die neueren Arbeiten Denks kann das quadratische Wandrelief (1991) angeführt werden, dessen leere Metallfläche in keiner Weise bildnerisch gestaltet ist und von einem frottagierten Graphitrahmen begrenzt wird. Man könnte sie als eine negative Grenze der bildnerischen Gestaltung bezeichnen und im Einklang mit den Aquarellen des Künstlers vom Ende der 70er Jahre als ein emotives Feld erklären, nach dem sich alles Geschehen richtet und von dem es sich abhebt.

Das Abwechseln starker und schwacher Stellen weist auf die Polarität des Glühenden (siehe das gerissene Papier als erste Grundfläche und die lineare „Pollock’sche“ Handschrift) und des Abgekühlten hin (siehe die Metallplatten oder die systematische Ordnung der Streifen, die mit eigenständiger Zeichnung entstanden sind). Er arbeitet mit offener sowie verdrängter Sensibilität, mit dem Zusammenstoßen verschiedenster Sinnschichten, ohne sie zur extremen Rückbezüglichkeit zu bringen. Seine Objekte beruhen daher eher auf der Verbindung von Gegenpolen und der Annäherung kontrastierender, verschiedenartiger Oberflächen. Außer den an der Wand hängenden Reliefs oder den stehenden und liegenden Säulen arbeitet Denk von Zeit zu Zeit auch mit der Form des Kreuzes, welches er zu einem Mehrzweckobjekt umwandelt; dies belegt unter anderem auch das „T-Regal“, von dem sich ein Balken tief in den Raum erstreckt. Das durch diese Deformation wenigstens teilweise seines eigentlichen symbolischen Wertes enthobene Kreuz gerät dadurch bis an die Grenze der inszenierten Kunst. Das „T-Regal“, welches als ein geeignetes Beispiel einer postminimalistischen Objektinterpretation dient, zeigt, dass das Ziel Denks kein Beharren auf einfachen stereometrischen Formen, sondern eine gewisse funktionelle sowie eine bedeutungstragende Doppelbödigkeit ist.

Diese Analyse verfolgte nur eine Seite der gegenwärtigen Arbeiten von Denk. Obwohl nicht direkt deutlich, ist ihr Hintergrund außerhalb der europäischen Kunst verankert. Die Objekte des Künstlers stellen im beträchtlichen Maße eine Reaktion auf autonomistische Tendenzen der modernen Kunst dar, deren Grenzen Denks Arbeiten weniger durch das Inhaltliche, als durch das Formale überschreiten. Denk bewegt sich auf des Messers Schneide, zwischen entgegengesetzten zentralen Positionen. In seinen letzten Objekten und Zeichnungen wird sein langjähriges Interesse für die außereuropäische, primitive und archaische Kunst wieder deutlicher.

Die Sehnsucht, diese unmittelbar empirisch kennenzulernen, regte ihn zu Studienreisen an, die er während der 70er Jahre zu verschiedensten Zentren der prähistorischen Kulturen unternahm. Unter ihrem Einfluss entstand damals der sogenannte, von Dolmen- und Megalithenkulturen inspirierte „Stonehenge-Zyklus“. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre orientierte sich Wolfgang Denk auch an der Kultur sogenannter Naturvölker. Er besuchte Indianerreservationen in den Vereinigten Staaten und in Kanada, doch später ist ihm aber Nigeria wichtig geworden, zu dessen Yoruba-Kultur er wahrscheinlich am tiefsten vorgedrungen ist. Er beteiligte sich an diversen dortigen Ritualen, bei denen das Wirken der übersinnlichen Energie eine wichtige Rolle spielte. Denks starkes Interesse für entfernte und vergangene Kulturen könnte durch das bekannte Modell vom Ende des 19. Jahrhunderts, welches auf die mangelnde Gestaltungskraft der damaligen europäischen Kunst hinwies und diese durch authentische Quellen zu beleben versuchte, begründet werden. Denk ließ sich jedoch von diesen Kulturen nur sehr frei inspirieren. Er war sich eher der Unterschiedlichkeit bewusst, ohne sie zu synthetisieren zu versuchen. Die Spuren von deren Wirkung kamen eher in den äußeren Einzelheiten (sie betrafen z.B. das Thema Schamanen und Masken) zum Ausdruck, doch um 1990 ist jegliche anschauliche Abbildung davon verschwunden. Was die Bilder an äußerer Naturnachahmung verloren haben, haben sie an einer inneren, durch Sinne unmessbaren inhaltlichen Dimension gewonnen, welche vielleicht nur durch intuitives Sehen fassbar war.

Die Zusammenhänge zwischen den Werken Denks und den außereuropäischen Kulturen sind nicht gradlinig. Am ehesten könnte man von gewissen Analogien sprechen. Als ob der Künstler wollte, dass seine Objekte solche Eigenschaften gewinnen, wie sie z.B. die afrikanischen Figuralplastiken haben, welche den Rahmen einer individuellen Aussage überschreiten, Erfahrung vermitteln, wie es nachweislich in seinen stehenden Stelen zum Ausdruck kommt. Gewisse Korrelationen könnten auch zwischen Denks Objekten und der Wiener geometrischen Moderne der Jahrhundertwende gefunden werden. Als wollte Denk absichtlich Bögen und Ovoide meiden. Seine einzige Bemühung um eine begriffgemäße Erinnerung an den Kreis, wenigstens durch den Titel, stellen die aus Vierecken bestehenden „Quadratischen Raster“ dar.

Mehr als den Plastiken stehen die orthogonalen Seiten seiner Objekte eher architektonischen Formen, für die die puristische Abstufung schräger Flächen charakteristisch ist, nahe. Es wäre sogar möglich, sie fast für Privatschreine zu halten, deren Metallplatten durch die mit Graphit gestalteten Umrahmungsflächen geschützt werden.

* In: Wolfgang Denk, Ausstellungskatalog, Galerie der Hauptstadt Prag, 1992, S. 8 ff.

Karel Srp, Chefkurator und Direktor der Galerie der Hauptstadt Prag, 2005, Photo: Privat

Kreuztisch, 1991/92, Photo: Ebenhofer

Wandobjekt, 1991, Photo: Mayer

Säule (Selbstporträt), 1991, Photo: Ebenhofer